Wolfram
von Eschenbach (Lebensdaten sind rein spekulativ:
» um 1160/80; ? um/nach 1220) war ein deutscher Ritter und Dichter. Die mittelhochdeutsche Literatur verdankt ihm ihre größten epischen Werke. Ebenso verfasste er als Minnesänger lyrische Dichtungen.
Leben
Was wir über
Wolframs Leben zu wissen meinen, ist aus Hinweisen in seinen
eigenen Dichtungen und aus Äußerungen zeitgenössischer Autoren
erschlossen. Aus seinem Namen lässt sich ableiten, dass er oder
seine Familie aus einem Ort namens Eschenbach herstammte.
Geographische Anspielungen in seinem Werk legen nahe, dass es sich
um Eschenbach bei Ansbach
(heute Wolframs-Eschenbach)
handelt. Es ist bekannt, dass er in seinem Leben an zahlreichen Höfen
Dienst tat. Vermutlich stand er zeitweise in Verbindung mit den
Grafen von Wertheim. Noch während der Arbeit am »Parzival« ist
er offenbar in den Dienst des Landgrafen Hermann I. von Thüringen
(1190-1217) getreten, des bedeutendsten Förderers der deutschen
Literatur seiner Zeit.
Umstritten ist, über welche Bildung er verfügte. Er gibt sich
programmatisch als Verächter des gelehrten Buchwissens, als
Illiteraten. Man hat aus seinen Äußerungen herausgelesen, dass
er tatsächlich Analphabet
war. Wahrscheinlicher ist aber, dass die betreffenden Aussagen der
Konstruktion einer spezifischen Autor-Rolle
dienen: der Rolle des Laiendichters,
dessen Wertschätzung man als Ausdruck des wachsenden Selbstbewußtseins
der höfischen Laiengesellschaft verstehen kann, für die Wolfram
tätig war. Unbestreitbar ist jedenfalls, dass er über umfassende
Kenntnisse aus der lateinischen
Bildungstradition verfügte. Sein Werk ist durchsetzt mit
sachkundig behandeltem Wissensstoff aus allen Bereichen
(Naturkunde, Geographie, Medizin, Astronomie)
und mit theologischen
Reflexionen. Ausgedehnt sind offenbar auch seine Kenntnisse der
zeitgenössischen französischen Sprache und Literatur gewesen.
Werk
Heute gilt
der 'Parzival'
als Wolframs berühmtestes Werk, häufig stuft man es als das
wichtigste Epos
dieser Zeit überhaupt ein. Es ist das erste in deutscher Sprache
erhaltene Werk, dessen Motiv der heilige
Gral bildet. Früher meinte man, dass Wolfram bei dessen
Verfassung vieles von Chrétien de Troyes' Perceval
übernommen habe. Wolfram schrieb jedoch selber, dass er dessen
Darstellung - die er offenbar kannte - für falsch halte, und
stellte ihr eine eigene Fassung aus einer anderen Quelle (s.u.)
gegenüber. Geschildert wird die Geschichte zweier Helden,
Parzivals Leben von seiner Kindheit über die Zeit als Artusritter
bis zum Gralskönigtum, das von menschlicher Sündhaftigkeit und
Gottes Gnadenwirken
geprägt wird. Der andere Held, Gawan
verbleibt im Normgefüge des Artuskreises. Der 'Parzival' bricht
die Immanenz
der höfischen Gesellschaft durch die Projektion auf eine
universale Ebene auf.
Wolfram behauptet, dass ein provenzalischer Dichter namens Kyot
seine Hauptquelle gewesen sei. Über Kyot ist allerdings sont
nichts bekannt. Manche meinen daher, er habe möglicherweise gar
nicht gelebt, sondern sei eine Erfindung Wolframs. Der Schweizer
Historiker Wolfgang Greub hat dagegen die These aufgestellt, dass
Wolfram die Aufzeichnungen Wilhelms des Heiligen vorgelegen hätten,
der sich hinter diesem Namen verberge.
Dem letzteren widmete Wolfram auch die Reimpaarerzählung
'Willehalm', die ebenso Züge des höfischen Romans wie der heldenepischen
Chanson de Geste hat, und durch die Betonung des Reichsgedankens
und der Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden endzeitliche
Züge erhält. Möglicherweise liegen dem Werk tatsächliche
Ereignisse des 9. Jahrhunderts zugrunde.
Das strophische Titurel-Fragment erzählt, als eine 'Abzweigung' des 'Parzival', Szenen aus der tragischen Liebesgeschichte von Sigune und Schionatulander.
Weiterhin verfasste Wolfram neun Minnelieder; davon bilden die fünf Tagelieder den Höhepunkt dieser literarischen Gattung.
Wolframs Sprache unterscheidet sich vom leichten Stil des Hartmann von Aue. Sie ist bildhaft, reich an Ironie und Pointen, wobei seine Syntax gedrängt und sperrig erscheint. Den von seinen Vorgängern entwickelten Erzählstil baut er aus.
Wolfram war der wirkungsreichste deutschsprachige Dichter des Mittelalters. Nach neueren Forschungen übernahm u.a. der Dichter des Nibelungenliedes die Figur des Rumolt sowie die Länder Azagouc und Zazamanc aus dem "Parzival". Auch Wolframs 'Titurel'-Fragment hatte eine enorme Nachwirkung im späten Mittelalter: Die dafür erfundene Strophenform (die sog. Titurelstrophe) wurde von vielen Dichtern adaptiert. Das Fragment selber wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem Dichter namens Albrecht zu einem Riesenroman erweitert. Dieser 'Jüngere Titurel' galt im Spätmittelalter als Wolframs eigenes Werk und begründete seinen Ruhm als bedeutendster aller Ritterdichter. Der 'Parzival' ist der einzige Reimpaar-Roman, der noch nach 1470 im Buchdruck mehrere Auflagen erlebte. Der Stoff des 'Parzival' bot Richard Wagner die Hauptquelle für die Schaffung des Librettos seiner Oper Parsifal. Wolfram selbst tritt als Figur in den Wagneropern Tannhäuser und Die Meistersinger von Nürnberg auf.
Die Literaturwissenschaft des 19./20. Jahrhunderts befasste sich mit keinem Dichter mehr als mit Wolfram, wobei sie ihn allerdings zeitweise nationalistisch überhöhte und gegen den angeblich "welschen" Gottfried von Straßburg auszuspielen suchte.
Werke
» Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel,
herausgegeben von Karl Bartsch, (=Deutsche Klassiker des
Mittelalters, Band 19), Leipzig 1935 (Nur mittelhochdeutscher Text
ohne Übersetzung. Aber immer noch brauchbare Ausgabe, da mit
vielen hilfreichen Anmerkungen zur Übersetzung versehen)
» Wolfram von Eschenbach, Parzival,
Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch, nach der Ausgabe von Karl
Lachmann, übersetzt von Wolfgang Spiewok, Band 1 und 2, (Reclams
Universalbibliothek Band 3681 und 3682), Stuttgart 1981 ISBN
3-15-003681-X
» Wolfram von Eschenbach, Parzival, übersetzt von
Dieter Kühn, 1994 ISBN 3-596-13336-X (sehr gute Übersetzung ins
Neuhochdeutsche)
Kommentierte
Ausgaben
» Wolfram von Eschenbach, Parzival, Nach der
Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard
Nellmann. Übertragen von Dieter Kühn. Deutscher Klassiker
Verlag, Frankfurt am Main, 1994, Bibliothek deutscher Klassiker,
Bibliothek des Mittelalters (Originaltext, Neuübertragung und
ausführlicher Kommentar in 2 Bänden)
» Wolfram von Eschenbach, Willehalm, Nach der
Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen, herausgegeben von
Joachim Heinzle, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main,
1991, Bibiliothek deutscher Klassiker, Bibliothek des Mittelalters
(Originaltext, Neuübertragung und ausführlicher Kommentar)
Biographisches:
» Albert Schreiber, Neue Bausteine zu einer Biographie
Wolframs von Eschenbach; Frankfurt a.M. 1922
» Uwe Meves, Die Herren von Durne; in: Friedrich
Oswald und Wilhelm Störmer (Hg.), Die Abtei Amorbach im
Odenwald, Sigmaringen 1984, 113-143
» Hugo Steger, Abenberc und Wildenberc; in: ZfdPh
105 (1986), 1-41
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